Exposé von Nino Haratischwili

Wir leben in düsteren Zeiten, zuweilen erscheint mir diese Zeit wie eine Sackgasse. Eine düstere, blutige Sackgasse.

Laut dem “Global Conflict Tracker” des “Council on Foreign Relations” gibt es derzeit weltweit 27 Konflikte und Kriege. Spätestens nachdem der Krieg auch den europäischen Boden erreicht hat, leben wir in einem Paradigmenwechsel und schauen in ein schwarzes Loch, das wir einst Zukunft nannten. Dazu kommen Vertreibungen, Hungernöte, Flucht, die wirtschaftlichen Unterschiede und die daraus resultierenden Notlagen, Drogenkriege, ökologische Katastrophen, der alarmierende Rechtsruck vielerorts, religiöser Fanatismus, Terror und die allgemeine Angst, die uns alle als ihre Geiseln hält. Die Schrift, in der unsere Zukunft geschrieben zu sein scheint, kennen wir nicht, wir können sie nicht entziffern.

 

 

© Danny Merz|Sollsuchstelle

Die Unsicherheit kann zuweilen in Ohnmacht umschlagen, in Nihilismus, noch schlimmer: in Zynismus. Das wiederum führt zu Erstarrung und dem Verlust des größten menschlichen Guts: dem Mitgefühl. Ohne Mitgefühl sind wir verloren, verlorener als ohnehin.

Als ich 2008, mich in meiner Geburtsstadt: Tbilissi im Urlaub weilend, von heute auf morgen, in einem Krieg wiederfand, als ich realisierte, dass auf mein Land russische Bomben fielen, war ich fassungslos, gelähmt und in eine Art Starre, alles schien nichtig, alles schien sinnlos, alles, was das Leben für mich lebenswert machte, war von heute auf morgen in Frage gestellt. Ich wusste nicht wozu ich überhaupt etwas tun sollte, wenn unser aller Leben von einem blutrünstigen Diktator abhing, wenn ich keinerlei Entscheidungsmacht hatte und doch, nach und nach und mithilfe der Menschen, die mich umgaben, lernte ich, dass gerade in diesen Zeiten die Hoffnung das einzige Gut ist, das uns bleibt. Dass gerade angesichts der desolaten Lage und der existenziellen Bedrohung das Leben in seiner ganzen paradoxen Schönheit eine Kraft bekam, die ich nie zuvor gespürt habe, dass der Wert dieses Lebens ins Unermessliche stieg und wir alle in einer todgeweihten Dringlichkeit es zu wertschätzen begannen. Wir alle feierten in jenen Tagen das Leben, ohne, dass es mir in dem Moment klar war. Wir feierten es, indem wir unsere Angst zuließen, es zu verlieren. Wir feierten den Zusammenhalt und das Menschsein in seiner humanen, in seiner würdevollen Form.

Damals habe ich begriffen, dass man nicht aufgeben darf, gerade, wenn alles um einen herum den Sinn zu verlieren scheint, ist man umso mehr zur Hoffnung verpflichtet. Und auch heute scheint es mir, ist es unsere Pflicht, hoffnungsvoll zu bleiben. Ich schulde es meinen Kindern, ich schulde es all den Generationen, die nach uns kommen und die es hoffentlich besser machen werden, als wir oder die vor uns. Sie haben es nicht verdient, dass man ihnen diese Welt überlässt, ohne den Versuch unternommen zu haben, dass man sie wenigstens ein klitzekleines bisschen besser macht.

Denn das Private ist immer politisch und das Politische immer privat. Egal, ob man global handelt oder im kleinen Rahmen, denn handeln muss man immer und wie die wunderbare Ingeborg Bachmann es einst sagte: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Wir müssen uns ihr stellen und wir müssen versuchen mit den jeweiligen Mitteln eine andere, eine bessere zu kreieren, als die wir aktuell haben.

Und kreieren kann Kunst und die Literatur im Besonderen. Panzer und Bomben können vielleicht ganze Welten zerstören, aber die Literatur kann sie erschaffen.

Und neben all dem Schrecken, über das sie zu erzählen vermag, ist sie ebenfalls in der Lage von unermesslicher Schönheit, von Liebe, von Güte, von Freundschaft, von Hoffnung, vom Lachen zu berichten.

Und so möchte ich vorschlagen, dass wir diese „Welten“ nach Stuttgart einladen, dass wir diesen Erzählungen lauschen, dass wir uns in diese Sprachwelten entführen lassen, dass wir ÜBER LEBEN sprechen – uns die Wahrheit durchaus zumutend – es dennoch feiern, uns gemeinsam an alles erinnernd, was das Leben so faszinierend, so mannigfaltig, so liebenswert macht!

Ein Fest der Literatur und somit des Lebens, das scheint mir wichtig auch wenn ein Fest das letzte ist, wonach uns aktuell zumute ist oder gerade jetzt!

Ein Fest der Literatur, das seine Grenzen verlässt, dass performativ sein kann, musikalisch, kulinarisch, poetisch, theatral. Alle Gattungen, die die Sprache und Worte zu feiern imstande sind – sind willkommen. Die uns vor Augen führen, warum wir Kunst lieben und brauchen, gerade in diesen Zeiten, welche Säulen und Stützen sie bietet.

Und dann, da bin ich mir sicher, wird die Hoffnung zurückkehren, wird wieder von selbst durch unsere Venen fließen und die brauchen wir jetzt, da sind wir uns sicherlich alle einig, wie selten zuvor.